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Richard Witting
* 19. 10. 1856 in Berlin; † 22. 12. 1923 in Berlin

(eigentlich: Witkowski) Jurist, Verwaltungsbeamter, Bankdirektor, Bruder von Maximilian Harden, Schwiegervater von Hans Paasche, 1891–1902 Oberbürgermeister von Posen, Mitglied des Preußischen Herrenhauses, 1902–10 Direktor der Nationalbank für Deutschland, anschließend Vorsitzender des Aufsichtsrates, 1907/08 Mitglied des preußischen Landtages, 1918–19 Mitarbeiter »Weltbühne« (9 Beiträge).

Pseudonym: Georg Metzler

Der Geheime Regierungsrat, Oberbürgermeister und Bankdirektor Richard Witting war das siebte von neun Kindern des jüdischen Seidenwarenhändlers Arnold Witkowski und dessen Frau Ernestine. Die Familie zog 1853 von Posen nach Berlin, wo Witting 1876 sein Abitur machte. Zu diesem Zeitpunkt trat er zum evangelischen Glauben über und änderte, wie die meisten seiner Familienmitglieder, seinen Familiennamen in Witting um. Sein jüngerer Bruder Felix, der spätere Herausgeber der »Zukunft«, nannte sich künftig Maximilian Harden.

Nach dem Studium der Rechts- und Verwaltungswissenschaften trat Witting in den Staatsdienst ein. Große Verdienste erlangte er als Oberbürgermeister von Posen, wo er von 1891 bis 1902 wirkte. Nach Ansicht eines Biografen hat er dabei das »Wunderwerk« vollbracht, »in wenig mehr als einem Jahrzehnt aus dem armseligen, abseits von aller Kultur gelegenen stillen Ort ein modernes Gemeinwesen mit stark entwickeltem Geschäftsverkehr, blühender Industrie und dem Sitz vieler hoher Verwaltungskörper zu machen«. Trotz dieser Erfolge, die ihn auch zu einem Berater Kaiser Wilhelms II. machten, schied er 1902 aus dem Staatsdienst aus und übernahm in Berlin die Leitung der Nationalbank für Deutschland. 1910 wurde er Aufsichtsratsvorsitzender der Nationalbank und bereitet in dieser Funktion auch die 1922 erfolgte Fusion mit der Darmstädter Bank zur Darmstädter- und Nationalbank (Danat-Bank) vor.

Politisch gehörte zunächst dem rechten Flügel der Nationalliberalen Partei an. Während des Ersten Weltkrieges wandte er sich jedoch von den Nationalliberalen ab und suchte die Nähe zu linksstehenden Parteien, die für den Frieden eintraten. Die radikalpazifistischen Positionen seines Schwiegersohnes Hans Paasche, der 1920 von Freikorpsleuten ermordet wurde, tat er jedoch als Schwärmerei ab. Bereits in der Juli-Krise 1914 hatte er vor einem Krieg gegen die Entente gewarnt. Im weiteren Verlauf des Krieges setzte er auf ein schnelles Ende der Kämpfe und eine Verständigung mit Frankreich. Dies soll zu einer Entfremdung vom Kaiser geführt haben. Ebenfalls war er in die Affäre des Fürsten Lichnowsky verwickelt, indem ein Memorandum des früheren deutschen Botschafters in London an den Hauptmann Hans Georg von Beerfelde weitergab, der es unter der Hand vervielfältigte und verbreitete. Im Wittings Haus bildete sich 1916 ein Gesprächszirkel, zu dem Teilnehmer wie Hellmut von Gerlach, Hans Paasche, Eduard Bernstein, Kurt Eisner und gelegentlich Walther Rathenau gehörten. Wittings Forderung nach einer Demokratisierung Preußens verhallte zunächst ungehört. Als die Oberste Heeresleitung sich für Vorschläge zur Verfassungsreform zu interessieren begann, leitete Witting dieses Ansinnen an seinen Freund Hugo Preuß weiter. Zusammen begannen beide im Winter 1917/18 damit, eine demokratische Verfassung für das Deutsche Reich zu entwerfen. Der Entwurf bildete später die Grundlage der Weimarer Verfassung.

Nach dem Krieg wandte sich Witting vehement, auch in der »Weltbühne«, gegen das Aufkommen der Dolchstoßlegende und versuchte zwischen Deutschland und Frankreich zu vermitteln. Dabei verwies er frühzeitig auf die Interessenverflechtung zwischen der deutschen und der französischen Industrie. Witting starb 1923 an den Folgen eines Herzleidens.

Werke (Auswahl)

Das Ostmarken-Problem. Berlin 1907

Auswärtige Politik und Diplomatenkunst. Kriegsmentalität – Lehmann und Krause. Berlin 1917

Literatur

Arthur Kronthal: »Witting, Richard«, in: Deutsches Biographisches Jahrbuch. Band V. Das Jahr 1923. Berlin/Leipzig 1930, S. 395–403

Hugo Preuß: Gesammelte Schriften. Band 1. Politik und Gesellschaft im Kaiserreich. Herausgegeben und eingeleitet von Lothar Albertin und Detlef Lehnert. Tübingen 2007, S. 56–58